TL;DR
- Die Hardware unserer Spezies (Anatomie & Gehirngröße) ist seit ≥315 ka vorhanden, doch die Software (stabile Symbolik, Fernhandel, echte figurative Kunst) tritt selten vor 50 ka auf.
- Frühe “symbolische” Funde in Afrika (z.B. Bizmoune-Perlen ~142 ka, Blombos-Gravuren ~73 ka) sind real, aber sporadisch, regional begrenzt und oft überbewertet.
- Der afrikanische Fundbestand zeigt Innovationsschübe (Stein-Hitzebehandlung, Schäftung, Pigmente), die aufflammen, flackern und erlöschen—kein anhaltendes Feuer bis zum späten Pleistozän.
1 Problemstellung#
Die nagende Uneinigkeit in der Paläoanthropologie—das Sapient-Paradoxon—ist die >200 kyr Kluft zwischen dem Aufstieg des anatomisch modernen Homo sapiens (AMHS) und dem vollständigen Spektrum verhaltensmäßig moderner Merkmale (figurative Kunst, formale Bestattungen, Musik, dichte Austauschnetzwerke). Colin Renfrew formulierte es unverblümt: unsere “biologische Basis” war lange gesichert, bevor unsere “neuartigen Verhaltensaspekte” aufblühten. Kurz gesagt, das Wetware bootete lange bevor die Apps geladen wurden.
Diagnostisches Merkmal | Ältester sicherer Horizont (±) | Vorbehalt / Vorsicht |
---|---|---|
Kompositwerkzeuge | Geschäftete Speerspitzen, Kathu Pan 1 (~500 ka) | Technische Genialität, nicht inhärent symbolisch |
Pigment & mögliche Kunst | Gekreuzschraffiertes Ocker, Blombos (~73 ka) | Könnte utilitaristische Kerbmarken sein |
Persönliche Ornamente | Nassarius-Perlen, Bizmoune (~142 ka) | Probe ≈ 30 Perlen; soziale Reichweite unbekannt |
Figurative Parietalkunst | Chauvet-Höhle, Frankreich (~37 ka) | Fehlt in Afrika & großen Teilen Asiens für ≥30 kyr nach AMHS |
Reiche Grabbeigaben | Sunghir, Russland (~34 ka) | Kein afrikanisches Analogon von gleicher Opulenz im ähnlichen Alter |
Faustregel: Wenn Taphonomie, geringe Bevölkerungszahl oder Wunschdenken eine “moderne” Behauptung erklären können, nennen Sie es nicht Revolution.
2 Afrika (315 ka → Holozän)#
Afrika gebiert AMHS, zeigt jedoch die längste Verzögerung zwischen Anatomie und anhaltender Symbolik.
2.1 Frühe Funken (142–70 ka)#
- Bizmoune-Höhlenperlen (~142–150 ka) – 33 durchbohrte Tritia-Schalen: früheste weithin akzeptierte Ornamentik, aber isoliert.
- Blombos-Höhle
- Graviertes Ocker (~73–77 ka) – geometrisches Kreuzschraffur; Beweis für absichtliches Muster, nicht unbedingt geteilte Bedeutung.
- Nassarius-Muschelperlen (~75 ka) – <40 Perlen, alle lokal.
- Technologische Sprünge
- Hitzebehandeltes Silcrete, Pinnacle Point (~164 ka) – früheste kontrollierte Pyrotechnik.
- Schäftung mit Verbundklebstoffen, Sibudu (~70 ka).
- Knochenharpunen, Katanda (~90 ka) für spezialisiertes Fischen.
Muster: Ausbrüche von Einfallsreichtum erscheinen in einzelnen Regionen und verschwinden dann; keine panafrikanische Verbreitung.
2.2 Mittelsteinzeit-Plateau (70–30 ka)#
- Die Howiesons-Poort-Industrie (~65–59 ka) führt mikrolithische Klingen und mögliche Symbolik ein, gefolgt von einer Rückkehr zu einfacherer Abschlagtechnik.
- Langstreckige Rohstoffbewegungen (Obsidian >100 km; Meeresmuscheln ins Landesinnere) zeugen von Austauschnetzwerken—dünn, nicht seidenstraßendick.
- Permanente Unterkünfte bleiben archäologisch unsichtbar; Feuerstellen & Bettungsschichten (Sibudu) zeigen organisiertes Leben, aber keine Architektur.
2.3 Spätes Aufblühen (≤27 ka)#
- Apollo-11-Höhlenplatten (Namibia, 27–25 ka) – erste unbestrittene afrikanische Zoomorphe; Europa malte bereits seit >10 kyr.
- Holozäne Explosion: Saharische Petroglyphen und Drakensberg-Polychrome (<15 ka), aber nichts Vergleichbares überlebt aus Schichten vor 30 ka—ob aufgrund von Erhaltung oder Produktion bleibt umstritten.
Kategorie | Horizont (ka) | Fundort / Region | Skeptische Anmerkung |
---|---|---|---|
AMHS-Schädel | 315 | Jebel Irhoud (MA) | Mosaikmerkmale; verlängertes Gewölbe |
Älteste Ornamente | 142 – 150 | Bizmoune (MA) | Einzelner Fundort, geringe Dichte |
Abstrakte Gravuren | 73 | Blombos (SA) | Könnte utilitaristische Kerbmarken sein |
Figurative Kunst | 27 | Apollo 11 (NA) | Spärlich; keine Höhlenmalereien gleichen Alters |
Kontinuierliche Felskunst | <15 | Tassili, Drakensberg | Holozäne Blüte |
2.4 Morphologische & Kulturelle Konservatismus#
- Khoisan-Abstammung – genetisch alt, aber historisch mit spätpleistozänen Kern-und-Abschlag-Kits bis ins 19. Jahrhundert.
- Robuste Schädel (Nazlet Khater, Broken Hill) & Kow-Swamp-ähnliche Schädel im südlichen Afrika zeigen archaische Robustheit, die lange nach 50 ka anhält.
- Lektion: Verhaltensmäßige Modernität ≠ anatomische Modernität; komplexe Kognition kann sehr konservative materielle Kulturen untermauern.
Afrika bietet die frühesten Funken, aber späteste anhaltende Flamme—eine langsame Montage statt einer 50 ka “Revolution.”
3 Europa (≈54 ka → 10 ka)#
Moderne Menschen erreichen Europa und hinterlassen in einem geologischen Augenblick ein barockes materielles Erbe, das alles Frühere übertrifft.
3.1 Ankunft & Kultureller Schleudertrauma (54–40 ka)#
Horizont (ka) | Kultur / Fundort | Was auftaucht | Warum es wichtig ist |
---|---|---|---|
54–49 | Bohunician / Bacho Kiro | Frühe Klingen, persönlicher Ockereinsatz | Erste AMHS-Einbrüche; Überschneidung mit Neandertalern |
45–42 | Aurignacian (Schwaben, Rhône) | Standardisierte Klingen, gespaltene Knochenpunkte | Neue Technik verbreitet sich schnell über den Kontinent |
42–40 | Geißenklösterle, Hohle Fels | Knochen- & Elfenbeinflöten | Früheste eindeutige Musikinstrumente |
40–37 | Hohle Fels, Hohlenstein-Stadel | Venus-Figuren; Löwenmensch-Hybrid | Reife figurative & mythische Ikonographie |
Wichtiger Punkt: <5 kyr nach sicherer AMHS-Ankunft zeigt Europa Musik, tragbare Skulpturen, Parietalkunst und Fernrohstoffaustausch—nichts davon ist in Afrika/Asien in vergleichbarer Dichte oder Synchronizität dokumentiert.
3.2 Der Kunstkaskade#
- Chauvet-Höhle (Ardèche, 37–33 ka) – mehrfarbige Löwen, Nashörner, Perspektivschattierung.
- El Castillo (Spanien, 40–37 ka) – Handstencils & Scheiben, älteste datierte Höhlenmalerei.
- Gravettian-Boom (32–26 ka) – Vermehrung von “Venus”-Statuetten (Dolní Věstonice, Willendorf) und Erzähltafeln (Les Eyzies).
- Magdalenian-Blüte (17–12 ka) – Lascaux, Altamira-Polychrome; Knochenharpunen, Nadelöhren, Atlatl-Haken.
Dichte zählt. Europas Kalkstein-Karst bewahrt Tausende von Bildern; die Intensität der Ausgrabungen verstärkt die Voreingenommenheit, doch die schiere Vielfalt innerhalb enger Chronozonen bleibt dennoch anormal.
3.3 Ritualbestattungen & Soziale Schichtung#
Fundort (ka) | Bestattungsdetails | Implikation |
---|---|---|
Sunghir 34 | Erwachsener + zwei Kinder, >10 k Elfenbeinperlen, Speere, Fuchszähne, Ocker | Kostspielige Signale → Hierarchie, Ritual |
Dolní Věstonice 28 | Dreifachbestattung unter Mammutschulterblatt, roter Ocker, Tonfigur | Kooperative Arbeit, Proto-Schamanismus |
Arene Candide 23 | “Prinz”-Bestattung, Muschelkappe, Ocker, Klingen | Fernhandel mit Muscheln (Ligurien ↔ Mittelmeer) |
3.4 Technologischer Ratschenschritt#
- Projektilrevolution: frühe Speerspitzen → Gravettian-Mikroprojektile → Solutrean-Lorbeerblatt-Bifaces (einige vielleicht rituell, nicht utilitaristisch).
- Kleidungsset: Nadelöhren bis 26 ka → maßgeschneiderte Fell-/Pelzkleidung ermöglicht Überleben bei <-20 °C.
- Keramik vor Landwirtschaft: gebrannte Ton-“Venus” (Dolní Věstonice, 26 ka) geht Töpferei um 10 kyr voraus.
3.5 Warum Europa Aufblüht#
- Demographie: wiederholte Refugienexpansionen treiben Kontakt & Kopieren an; kritische Massenbevölkerung.
- Wettbewerb: Ko-Präsenz mit Neandertalern könnte nischendifferenzierte Innovation angeregt haben.
- Umwelt: hohe Saisonalität + Eiszeit-Volatilität belohnen Speichertechnik, Symbolik für Koalitionsbildung.
- Taphonomie & Finanzierungsbias: reichlich Kalksteinhöhlen + Jahrhundert obsessiver Grabungen erhöhen Sichtbarkeit—können aber allein keine Knochenflöten erfinden.
Nettoerkenntnis: Europa verwandelt die verstreuten Funken, die in Afrika zu sehen sind, in ein sich selbst erhaltendes kulturelles Feuer, das zeigt, dass die Fähigkeit zur Modernität früher existierte, aber demografisch-ökologische Beschleuniger benötigte, um zu entfachen.
4 Asien (120 ka → 10 ka)#
Ein einziger Kontinent, viele Tempi: frühe Bestattungen in der Levante, 40 ka Wandmalereien in Indonesien, doch weite Innenzonen, die bis zum terminalen Pleistozän lithische Hinterländer bleiben.
4.1 Südwestasien (Levante & Iran)#
Horizont (ka) | Markanter Fund | Bedeutung & Grenzen |
---|---|---|
120–92 | Skhul / Qafzeh ockerbestattungen + Muschelperlen | Früheste Ritualgräber außerhalb Afrikas; ≤ 4 Muscheln insgesamt |
48–42 | Emiran → Frühe Ahmarian-Klingen | Erste Levantinische Oberpaläolithik; spärlicher Schmuck |
40–32 | Ksar Akil-Sequenz (Libanon) | Perlen, Knochengeräte, persönliche Dekoration; noch keine Kunsthöhlen |
4.2 Südasien (Indischer Subkontinent)#
- Acheulean hält sich bis < 200 ka; echte UP-Klingenindustrien erscheinen ~35 ka.
- Bhimbetka-Höhlenkomplex: Cupules & Tierszenen – sichere Daten konzentrieren sich < 12 ka; frühere (> 30 ka) Behauptungen bleiben umstritten.
- Keine dauerhaften Musikinstrumente oder reichen Bestattungen bis zum Holozän; Symbolik könnte vergängliche Medien bevorzugt haben.
4.3 Ostasien (China, Korea, Japan)#
Marker | Alter (ka) | Fundort / Region | Anmerkung |
---|---|---|---|
Ornamente (Eierschalenperlen) | 32–28 | Shuidonggou, Mongolei | Geringe Dichte; keine figurative Kunst angehängt |
Bestattungen mit Schmuck | 34 | Zhoukoudian Oberhöhle | Ocker + Anhänger; bescheiden im Vergleich zu Sunghir |
Frühe Keramik | 20–18 | Xianrendong / Yuchanyan | Utilitaristisch, Jäger-Sammler-Kontext |
Figurative Schnitzerei | 14 | Lingjing “Vogel” Statuette | Kleine, isolierte Funde |
Rätsel: Ostasien liefert Nadelöhren, Hinweise auf maßgeschneiderte Kleidung und Keramik ohne eine passende Parietalkunst-Explosion—entweder ein Erhaltungsschwarzes Loch oder kulturelle Präferenz für nicht dauerhafte Ausdrucksformen.
4.4 Südostasien & Wallacea#
- Sulawesi: Handstencil ≥51 ka, Warzenschwein-Wandbild ≥45 ka – konkurriert mit frühester europäischer Höhlenkunst.
- Borneo: Banteng-Piktogramme datiert ≤40 ka.
- Lithische Technik bleibt Mode 3-ähnlich; Denisova-/erectus-Erbe trägt wahrscheinlich zur Werkzeugkonservatismus bei.
4.5 Sibirien & Arktischer Rand Asiens#
- Mal’ta–Buret’ (Baikal, 24 ka): 30 + Elfenbein-Venus-Figuren, Kinderbestattung mit Perlenumhang – symbolisches Paket entspricht Europa.
- Yana RHS (~32 ka, 71° N): Mammutknochenbehausungen & Ornamente; zeigt schnelle Anpassung an die Hohe Arktis nach Eintritt.
Asiatische Durchgangslinie: Verhaltensmäßige Modernität kommt in Wellen, abgestimmt auf einströmende Populationen und lokale Demographie. Der Kontinent entwickelt nie eine kontinentweite Kunsttradition bis spät, was eine Mosaik- statt monolithische Ausbreitung unterstreicht.
5 Australien / Sahul (65 ka → Holozän)#
Moderne Menschen hüpfen früh nach Sahul, doch ihre materielle Kultur bleibt hartnäckig “Paläotechnisch” für Zehntausende von Jahren.
5.1 Kolonisation & Frühes Werkzeugset#
Ereignis | Alter (ka) | Beweis / Fundort | Skeptische Anmerkung |
---|---|---|---|
Erste Landung | 65 | Madjedbebe: Kerne, Schleifsteine, Ocker | Optisch stimulierte Lumineszenz umstritten |
Geschliffene Äxte | 40–35 | N. Arnhem Land Fragmente | Unter den weltweit frühesten geschliffenen Werkzeugen |
Pflanzenverarbeitende Schleifsteine | >50 | Madjedbebe | Deutet auf proto-intensive Nahrungssuche hin |
Keine Bögen, Pfeile, Atlatls oder Keramik entstehen jemals indigen; Speer + Woomera erscheinen im mittleren Holozän.
5.2 Symbolische Beweise#
- Bestattungen: Lake Mungo III (~40 ka) mit Ocker; früheste Einäscherung (Mungo I) ähnliches Alter.
- Felskunst:
- Nawarla Gabarnmang gefallene Platte C14-datiert ~28 ka.
- Gwion & Wandjina Figuren-Traditionen wahrscheinlich <20 ka (direkte U/Th-Daten ausstehend).
- Körper- & vergängliche Kunst (Körperbemalung, Sandzeichnungen) wird tief vermutet, ist aber archäologisch stumm.
5.3 Morphologische Überbleibsel#
Merkmal / Exemplar | Alter (ka) | Besonderheit |
---|---|---|
Kow Swamp Schädel | 13–9 | Massive Supraorbitalbögen, zurückweichende Stirn – “archaisches Aussehen” |
Ngangdong (Java) DNA | n/a | Genomische Signale deuten auf begrenzte archaische Introgression hin, aber Morphologie wahrscheinlich umweltbedingt |
Interpretation: Robustizität = kleine, genetisch isolierte Populationen + hohe Kaulast, nicht Überleben von H. erectus.
5.4 Paradoxon auf maximaler Amplitude#
Vollständig moderne Geister halten ein spätpleistozänes Werkzeugset bis ins 19. Jahrhundert aufrecht. Innovationsgrenze gesetzt durch Demographie, Ökologie und vielleicht Mangel an interregionalem Wettbewerb, nicht durch Kognition.
“Steinwerkzeuge am Montag, Traumzeit-Kosmologie am Dienstag.” —Aboriginal Australien widerlegt jede Behauptung, dass Hochtechnologie das unvermeidliche Ziel moderner Intelligenz ist.
6 Amerika (≤21 ka → Holozän)#
Zuletzt kolonisiert, komprimiert die Neue Welt 40 kyr des kulturellen Aufstiegs der Alten Welt in einen hektischen postglazialen Sprint.
6.1 Besiedlung & Frühes Werkzeugset#
Horizont (ka) | Fundort / Kultur | Kennzeichen | Anmerkungen |
---|---|---|---|
21–18 | White Sands Fußabdrücke (NM) | Menschliche Spuren mit Megafauna | Prä-Clovis-Behauptung; Datierung umstritten |
16 | Buttermilk Creek, TX | Klingen- & Bifacetechnik vor Clovis | Unterstützt Eintritt vor 13 ka |
13.2–12.7 | Clovis-Horizont, kontinentweit | Geflanschte lanzettförmige Spitzen, geschäftete Speere | Schnelle Verbreitung über Nordamerika |
12.7 | Anzick Kinderbestattung (MT) | Ocker + 100 + Werkzeuge als Grabbeigaben | Erstes opulentes Bestattungsritual in Nordamerika |
6.2 Symbolischer Aufholprozess#
- Felskunst: Früheste robuste Tafeln ∼12–10 ka in Serra da Capivara (Brasilien) & Lower Pecos (TX); komplexe Szenen erscheinen erst nach 8 ka.
- Figuren & Gravuren: Tequixquiac Sakrum-Schnitzerei (~10 ka) und Vero Beach gravierter Knochen (~13 ka) sind isoliert, miniatur.
- Musik: Knochenpfeifen / Panflöten entstehen <3 ka (Hopewell, Anden) — weit später als Alte-Welt-Flöten.
Beobachtung: trotz vollständig moderner Abstammung bleibt dauerhafte Symbolik fleckig für ~5 kyr nach der Ankunft, wahrscheinlich ein demografisches Signalverzögerung.
6.3 Vom Archaikum zum Formativum#
Bereich | Auslösezeitraum | Wichtige Entwicklungen |
---|---|---|
Fernhandel | 8–5 ka | Meeresmuscheln, Kupfer, Obsidian |
Agro-Ursprünge (mehrfach) | 9–5 ka | Tehuacán-Mais, Anden-Quinoa/Kartoffel |
Monumentale Architektur | 5–3 ka | Caral, Poverty Point |
Schrift & Staatlichkeit | 3–1 ka | Zapotec, Maya, Moche |
Erkenntnis: Die Amerikas zeigen eine komprimierte Treppe—Jäger-Sammler zur staatlichen Gesellschaft in <10 kyr, aber der anfängliche symbolische Rückstand ist überraschend schwach.
7 Entferntes Ozeanien & Arktischer Rand (3.5 ka → aktuell)
7.1 Entferntes Ozeanien (Vanuatu → Osterinsel)#
Ereignis | Alter (ka) | Kulturelles Paket |
---|---|---|
Lapita-Landung (Bismarcks) | 3.3 | Zahnradgestempelte Keramik, Gartenbau, Schweine, Obsidian |
Polynesisches Seefahrtsnetzwerk | 2–1 | Doppelrumpfkanus, Sternennavigation, Brotfruchttransport |
Maori besiedeln Aotearoa | 0.8–0.7 | Befestigte pā, Holzschnitzerei, aber immer noch lithisches Werkzeugset |
Keine Metallverarbeitung entwickelt sich in Isolation; soziale Energie fließt in Navigation, mündliche Epen, megalithische Steinbearbeitung (Moai).
7.2 Arktischer Rand (Sibirien ↔ Grönland)#
Horizont (ka) | Kultur | Innovationen |
---|---|---|
32 | Yana RHS (Russland) | Mammutknochenhütten, Perlenarbeiten, Schmuck |
4.5–2.5 | Arktisches Kleingerät | Mikroklingen, Öllampen, passgenaue Kleidung |
1.2 | Thule Inuit | Hundeschlitten, Umiaks, Knebelharpunen |
0.8 | Kontakt mit den Wikingern (Grönland) | Metall kommt extern an |
Muster: Arktische Kolonisten kommen bereits verhaltensmäßig modern an, dann erweitern sie die technologischen Grenzen in Kleidung, Transport und Meeresjagd—bleiben jedoch metallurgisch bis zum Kontakt steinzeitlich.
Entferntes Ozeanien & die Arktis unterstreichen kulturelle Kontingenz: vollständig moderne Geister passen sich hervorragend an, erfinden jedoch Metallurgie nur, wenn Geographie oder Handel Erze liefern.
8 Fortbestehen “archaischer” Anatomie#
Anatomische Modernität ist gestuft, nicht binär. Robuste Gewölbe, schwere Brauenwülste und Prognathismus hallen bis ins Holozän nach und zerstören jede saubere Trennung zwischen “archaisch” und “modern.”
Merkmal / Exemplar | Alter (ka) | Population / Fossil | Anmerkung & Referenz |
---|---|---|---|
Mittlerer Gesichtsprognathismus | 0 | Zeitgenössische Khoisan, Papua | innerhalb des AMHS-Bereichs [34] |
Dickes Schädelgewölbe & Supraorbitalbögen | 13–9 | Kow Swamp (SE Australien) | archaisches Aussehen, wahrscheinlich plastisch [23] |
Massiver Hinterhauptsknauf | 9 | Zhirendong (S. China) | Fortbestehen eines früheren Merkmals [16] |
Zurückweichende Stirn + schwere Brauen | 34 | Nazlet Khater 2 (Ägypten) |
Schlussfolgerung: Morphologische Verzögerung überlebt kognitive Verzögerung; Robustizität kann durch Ernährung, Drift oder absichtliche Schädelverformung aufrechterhalten werden—auch wenn komplexe Symbolik anderswo aufblüht.
9 Warum so spät? — Konkurrierende Erklärungen#
Demographisch-Netzwerk-Schwelle Kleine, verstreute Gruppen (< 1 k Individuen) verlieren Innovationen durch Drift; sobald regionale Metapopulationen > 10 k, “ratscht” die kumulative Kultur. Beweis: Korrelation zwischen Fundstellendichte & technischer Komplexität in Europa nach 45 ka [33].
Gen-Kultur-Feedback Späte Pleistozäne Sweeps auf X-gekoppelten Neurogenen (TENM1, PCDH11X) verfeinern Schaltkreise für Rekursion, soziale Schärfe. Vorbehalt: Selektionssignale existieren; direkter Phänotyp-Link bleibt spekulativ.
Ökologischer Druck & Nischenüberfüllung Klimaschwankungen nach 75 ka schaffen Boom-Bust-Refugien, die Lagerung, Handel und symbolische Koalitionssignalisierung anreizen. Analogie: Komplexe Signalisierungsspitzen im Eiszeit-Europa, Dürrezyklus-Sahul-Küste.
Taphonomische Lotterie Tropisches Afrika & Asien verrotten Organika; Europas Kalksteingewölbe bewahren Kunst. Erhaltungsbias erklärt Sichtbarkeit, nicht vollständige Abwesenheit.
Kulturelle Wahl Symbolik kann nicht-materiell sein (Songlines, Körperbemalung, Sandzeichnungen). Geringe archäologische Sichtbarkeit ≠ kognitive Abwesenheit.
Synthese: Das Sapient-Paradoxon spiegelt wahrscheinlich multifaktorielle Konvergenz wider—Demographie bereitet die Bühne, ökologischer Stress signalisiert Innovation, Gen-Kultur-Schleifen optimieren Effizienz, und Taphonomie verzerrt unser Fenster.
Quellen#
- Hublin J-J., et al. 2017. “New fossils from Jebel Irhoud and the pan-African origin of Homo sapiens.” Nature 546:289-292.
- Bouzouggar A., et al. 2021. “140–150 kyr old Nassarius beads from Bizmoune Cave (Morocco).” Science Advances 7:eabe4559.
- d’Errico F. & Henshilwood C. 2013. “Blombos engravings: intentional symbols or functional marks?” Journal of Human Evolution 65:108-129.
- Lombard M. 2008. “The grasping nature of Sibudu compound-adhesive tools.” Journal of Archaeological Science 35:87-97.
- Brown K., McLean N., & Rhods E. 2009. “Fire as an engineering tool at Pinnacle Point.” Science 325:859-862.
- Brooks A., et al. 1995. “Earliest specialized fishing at Katanda (Zaire).” Science 268:1122-1125.
- Wendt W. 1976. “Art mobilier from Apollo 11 Cave, Namibia.” Acta Praehistorica et Archaeologica 7:1-42.
- Conard N. 2003. “Palaeolithic ivory sculptures from south-western Germany.” Nature 426:830-832.
- Conard N. 2009. “A female figurine from the basal Aurignacian of Hohle Fels.” Nature 459:248-252.
- Higham T., et al. 2012. “Testing models for the emergence of the Aurignacian.” Journal of Human Evolution 62:664-676.
- Pettitt P. & White R. 2012. “The Gravettian burials at Sunghir.” Antiquity 86:516-534.
- Svoboda J., et al. 2016. “Dolní Věstonice—Early Gravettian mortuary behaviour.” Quaternary International 406:170-179.
- Conard N., Malina M., & Münzel S. 2009. “New flutes document the earliest musical tradition.” Nature 460:737-740.
- Douka K., et al. 2013. “Levantine chronologies for the Early Upper Palaeolithic.” Quaternary Science Reviews 47:43-58.
- Li Z-Y., et al. 2013. “Late Pleistocene archaic hominins at Zhoukoudian Upper Cave.” Proceedings of the National Academy of Sciences 110:11091-11095.
- Wu X., et al. 2012. “Zhirendong hominin diversity in southern China.” PNAS 109:8025-8030.
- Aubert M., et al. 2018. “Pleistocene cave art from Sulawesi.” Nature 559:254-257.
- Aubert M., et al. 2019. “Earliest figurative art in Borneo.” Nature 564:254-257.
- Pitulko V., et al. 2004. “The Yana RHS site: humans in the Arctic before the LGM.” Science 303:52-56.
- Debets G. 1951. The Upper Palaeolithic Site of Mal’ta. USSR Academy of Sciences.
- Clarkson C., et al. 2017. “Human occupation of northern Australia by 65 kyr.” Nature 547:306-310.
- David B., et al. 2013. “Nawarla Gabarnmang: 28 kyr of rock art.” Quaternary Science Reviews 74:124-148.
- Brown P. 2007. “Kow Swamp crania: robust or plastic?” Australian Archaeology 65:1-17.
- Bowler J., et al. 2003. “New ages for Lake Mungo burials.” Nature 421:837-840.
- Bennett M., et al. 2021. “Evidence of humans in North America during the LGM.” Science 373:1528-1531.
- Waters M., et al. 2011. “The Buttermilk Creek Complex and Clovis origins.” Science 331:1599-1603.
- Rasmussen M., et al. 2014. “Genome of a Clovis child.” Nature 506:225-229.
- Gilbert M.-T., et al. 2008. “DNA from pre-Clovis coprolites at Paisley Caves.” Science 320:786-789.
- Guidon N., et al. 1996. “Rock art at Serra da Capivara.” Antiquity 70:934-942.
- Kirch P. 1997. The Lapita Peoples: Ancestors of the Oceanic World. Blackwell.
- Anderson A. 2010. The First Migration: Māori Origins 3000 BC – AD 1450. Auckland University Press.
- Friesen T. 2004. “Thule Inuit adoption of the kayak and umiak.” World Archaeology 36:426-442.
- Powell A., Shennan S., & Thomas M. 2009. “Late Pleistocene demography and behavioural modernity.” Science 324:1298-1301.
- Lieberman D., et al. 2021. “Faces, not just technology: craniofacial evolution and culture.” Evolutionary Anthropology 30:260-272.
- Mellars P. 2006. “A new radiocarbon revolution and modern human dispersal.” Nature 439:931-935.
- Berwick R. & Chomsky N. 2016. Why Only Us: Language and Evolution. MIT Press.