TL;DR
- Campbell liebte Jung wegen der Hermeneutik, nicht wegen der Ursprungsmythen.
- Ab Primitive Mythology (1959) rahmt er Nahost ➜ globale Motive als eine “einzige Basis” Diffusion.1
- Er verwirft die “psychische Einheit”, wann immer Radiokarbondaten und Handelswinde übereinstimmen – berühmt das Schwein/Stier/Pferd-Paket über Eurasien bis nach Peru.2
- Interviews (An Open Life, 1990) wiederholen das Mantra: “Ich bin viel mehr an Diffusion interessiert … als Jung es je war.”3
- Der Historical Atlas (1983-88) beginnt mit einem kartenreichen Prolog mit dem Titel “Diffusion, Konvergenz und Parallelismus.”4
- Endergebnis: Campbells Standardmodell sind Karawanen, Auslegerkanus und Heiratsverbindungen; Archetypen erklären nur Resonanz, niemals Verteilung.
1 · Psychische Einheit vs. Diffusion: Die Grundregeln#
Lange bevor “Meme” in den allgemeinen Sprachgebrauch einging, kämpften zwei rivalisierende Heuristiken um Erklärungsraum:
Lager | Kernbehauptung | Übliche Verdächtige |
---|---|---|
Psychische Einheit | Menschen teilen tiefenstrukturelle Archetypen, die überall unabhängig auftauchen. | Bastian, Freud, Jung, Boasianischer “Parallelismus.” |
Diffusionismus | Ähnliche Geschichten reisen entlang realer Verkehrswege (Flüsse, Karawanenwege, Seewege). | Tylor (späte Karriere), Heine-Geldern, Frobenius – und, leise, Campbell. |
Campbell lehnt Archetypen nie ab; er weigert sich nur, sie die ganze Last tragen zu lassen. Mythen reimen sich kulturübergreifend, weil Gehirne ähnlich sind und weil Seeleute sich herumsprechen. Der Rest dieses Artikels folgt der Spur der Dokumente.
2 · 1959: Primitive Mythology beendet das Monopol der Psychischen Einheit
2.1 “Parallelismus oder Diffusion?” (Kap. 5)#
Seiten 202-203 lesen sich wie ein höflicher Schlag gegen Isolationisten:
“Die alten Zivilisationen der Alten Welt … stammen von einer einzigen Basis ab… die Wahrscheinlichkeit einer weltweiten Diffusion aus dem Nahen Osten… wurde mit reichhaltiger Dokumentation argumentiert.”1
Er zeigt weiter, wie sich malayo-polynesische Zahlen und Schweinekult-Riten auf einen nahöstlichen Ursprung konzentrieren.
2.2 “Die Große Diffusion” (Kap. 10)#
Auf S. 444 verspottet Campbell die rein jungianische Lesart:
“Die rein psychologische Lesart dieser Parallelen wird überhaupt nicht ausreichen, da eine klar…dokumentierte historische Abfolge anerkannt werden muss…”2
Er zählt Kurgan-Hügel, Yangshao-Keramik, javanische Seefahrer und Huaca Prieta-Kürbisse auf – alle mit dem gleichen Opfer-Schwein-Komplex gestempelt.
3 · 1962-68: Masks of God erweitert das Netz#
- Oriental Mythology (1962) verdoppelt den Einsatz, indem es Reiskult und Schlangenkult nach Osten verfolgt.
- Occidental Mythology (1964) zieht die Stierspiele Kretas in ein trans-mediterranes Austauschnetzwerk.
- Creative Mythology (1968) räumt Archetypen für Kreativität ein, aber nicht für historische Herkunft.
Nettoergebnis: Diffusion ist jetzt Campbells Nullhypothese für jedes enge Motivcluster.
4 · Vorträge & Interviews: Campbell vs. die Jungianer#
“Ich bin kein Jungianer…Ich bin viel mehr an Diffusion und historischen Beziehungen interessiert als Jung, sehr, sehr viel mehr.” —An Open Life, S. 1193
Die Aussage taucht erstmals in Vorträgen der frühen 1970er Jahre (Myths to Live By) auf und wird zu einer Standardantwort, wann immer Interviewer ihn als “Jungianer” bezeichnen.
5 · 1983-88: Der Historical Atlas macht es kartografisch#
Band 2, Teil 1 (Way of the Seeded Earth) beginnt mit einem 40-seitigen Prolog:
“Diffusion, Konvergenz und Parallelismus in der Bildung von Kulturen.”4
Karten zeichnen Erntepakete, Megalith-Ausrichtungen und Kalendersysteme, die von zwei primären Herden ausstrahlen: dem Fruchtbaren Halbmond und den Südchinesischen Meeren. Psychische Einheit? Nur erwähnt, um zu erklären, warum Migranten fremde Kulte so bereitwillig annahmen.
6 · Nebenessay: “Symbol ohne Bedeutung” (1957 → 1969)#
In diesem Eranos-Papier (später in Flight of the Wild Gander) befasst sich Campbell mit jungpaläolithischen Venusfiguren:
“…die Spanne Pyrenäen bis Baikal ist zu kohärent, um eine spontane Erfindung zu sein; Diffusion, nicht gleichzeitige Kreativität, wird überwältigend nahegelegt.”5
Er behält den Archetyp (Mutter/Tod/Wiedergeburt), verankert aber seine Verbreitung in Magdalénischen Handelsnetzen.
7 · Methodologische Erkenntnisse#
- Schichtkuchenmodell
- Psychologische Schicht: angeborene “geerbte Bilder” à la Jung.
- Historische Schicht: Seefahrt, Migration und Imperium. Campbell sagt, man braucht beides, aber die zweite entscheidet das Wo/Wann.
Radiokarbon > Träumerei Daten übertrumpfen Traumarbeit. Wenn ein Motiv Ozeane nachdem navigierbare Ausleger auftauchen, überspringt, nehmen Sie Kanus vor dem kollektiven Unbewussten an.
Folgen Sie den Schweinen Sein Lieblings-Diffusionstracer ist der Opfer-Schwein-Komplex: Naher Osten ➜ Indus ➜ Java ➜ Melanesien ➜ Peru.
FAQ #
Q 1. Hat Campbell jemals Jungs kollektives Unbewusstes aufgegeben?
A. Nein. Er behält Jung für Bedeutung, lehnt es aber als alleinigen Treiber der Verbreitung ab; Diffusion liefert die Logistik.
Q 2. Ist “Heldenreise” eine diffusionistische Behauptung?
A. Nicht wirklich. Monomythos ist ein narratives Schema; seine globale Präsenz wird durch geteilte Kognition plus Jahrtausende des Geschichtenaustauschs erklärt.
Q 3. Wo kann ich Campbells Diffusionskarten sehen?
A. Band 2, Teil 1 des Historical Atlas of World Mythology reproduziert sie in voller Farbe – suchen Sie nach dem oben zitierten Prologabschnitt.
Fußnoten#
Quellen#
- Campbell, Joseph. The Masks of God: Primitive Mythology. Penguin, 1959.
- Campbell, Joseph. The Masks of God: Oriental Mythology. Penguin, 1962.
- Campbell, Joseph. The Masks of God: Occidental Mythology. Viking, 1964.
- Campbell, Joseph. The Masks of God: Creative Mythology. Viking, 1968.
- Campbell, Joseph. Flight of the Wild Gander. Viking, 1969.
- Campbell, Joseph. Myths to Live By. Viking, 1972.
- Campbell, Joseph. An Open Life: In Conversation with Michael Toms. Harper & Row, 1990.
- Campbell, Joseph. Historical Atlas of World Mythology. 5 Teile, Harper & Row, 1983-1988.
- Heine-Geldern, Robert. “L’Europe et L’Asie.” Anthropos 27 (1932): 595-607.
- Layard, John. Stone Men of Malekula. Chatto & Windus, 1942.
- Frobenius, Leo. The Riddle of the Pacific. London: Yale UP, 1932.
- Larsen, Stephen & Larsen, Robin. A Fire in the Mind: The Life of Joseph Campbell. Doubleday, 1991.
- Rensma, Roderick. “The Innateness of Myth.” Religious Studies Review 37 (2011): 143-159.